Landtag Rheinland-Pfalz – 16. Wahlperiode – 4. Sitzung, 15. Juni 2011
Vizepräsidentin Frau Klamm:
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Kollege Köbler das Wort.
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit dem Stellenwert der Debatte und den Entscheidungen, die vor uns stehen, beginnen. Ich glaube, die Entscheidung über einen endgültigen Atomausstieg in der Bundesrepublik Deutschland und den Umstieg in eine echte Energiewende ist vielleicht die wichtigste Entscheidung, die wir bundespolitisch in diesem Jahrzehnt treffen werden.
Deswegen ist es auch gut und richtig, dass das Plenum am heutigen Tag über diese Entscheidung debattiert.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Von der CDU-Opposition ist ernsthaft angesprochen worden, dass der Ministerpräsident die Regierungserklärung zu dieser epochalen Entscheidung abgibt. Ich bin froh, dass er das getan hat, um zu zeigen, welchen Stellenwert diese Entscheidung für die rot-grüne Landesregierung und die rot-grüne Koalition hat.
Ich weiß, dass es auch auf ausdrücklichen Wunsch der Energieministerin und der stellvertretenden Ministerpräsident Eveline Lemke geschehen ist, um zu zeigen, dass uns das Thema auch in Rheinland-Pfalz betrifft. Wir werden ein gewaltiges Wörtchen mitreden. Der Kollege Hering hat es bereits ausgeführt.
Die letzten Jahre, aber leider auch die letzten Tage und Wochen haben gezeigt, dass man die Schwarzen und die Gelben in der Energiepolitik in Deutschland und auch in Rheinland-Pfalz – das haben wir heute mitbekommen – auf gar keinen Fall allein lassen darf.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Ich habe während der Regierungserklärung einmal in Ihre Reihen geschaut. Die erste Reihe war zwischendurch mit vielleicht einer Ausnahme komplett leer. Man hat vor allem Gemurmel gehört. Ich verstehe, dass Ihnen das Thema unangenehm ist, wenn man sich die Entwicklung seit dem letzten Herbst anschaut. Ich verstehe auch, dass es Ihnen vielleicht peinlich ist, dass wir heute darüber reden, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Gehen Sie doch bitte vor die Tür. Es interessiert eine ganze Menge Leute, was in Berlin gerade geschieht. Die Menschen draußen interessiert das Thema noch mehr. Es ist die zentrale Zukunftsfrage, wie wir die Energiewende hinbekommen und den Atomausstieg schnellstmöglich, unumkehrbar und rechtssicher erreichen. Wenn Sie das Thema nicht interessiert, bleiben Sie doch bitte draußen und halten Sie uns hier nicht auf.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Man muss sich das bewusst machen, was gerade passiert. Ich lebe im nuklearen Schatten von Biblis. Ich habe das das letzte Mal schon gesagt. Man muss sich die beiden Schrottmeiler einmal vergegenwärtigen. Es ist ein gutes Gefühl, dass diese jetzt endgültig vom Netz bleiben.
Ich bin gestern nach Römerberg in den Rhein-PfalzKreis gefahren. Wenn man in die Gemeinde hineinfährt und auf der anderen Seite die beiden beängstigenden Meiler von Philippsburg sieht, fühlt man sich gut, wenn man weiß, dass Philippsburg 1 für immer abgeschaltet bleibt, wenn das alles so kommt, wie wir hoffen und wofür wir kämpfen und lange gekämpft haben.
In Rheinland-Pfalz, aber auch auf der Bundesebene werden wir alles dafür tun, dass auch Philippsburg 2 so schnell es geht vom Netz genommen wird. Das hat auch Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz, weil Strahlen grenzenlos sind. Das haben wir bei der Katastrophe von Fukushima, aber auch vor 25 Jahren in Tschernobyl bitter erfahren müssen.
Gott möge uns vor so etwas beschützen. Der Ausstieg muss schnell kommen und unumkehrbar und rechtssicher sein. Dafür wird sich dieses Land einsetzen. Die rot-grüne Koalition unterstützt die Landesregierung voll und ganz in ihren Bemühungen.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Wenn die CDU nach der Katastrophe von Fukushima daraus Konsequenzen zieht, ist das bedauerlich spät. Das mag in aller Konsequenz und noch nicht bis zu allen in der CDU – Kollege Fuchs ist in der letzten Plenarsitzung häufiger genannt worden – durchgedrungen sein. Im Kern ist es richtig.
Frau Klöckner, das hätten Sie heute sagen können. Sie hätten doch heute sagen können, ja, die CDU hat einen kapitalen und epochalen Fehler gemacht, als sie im Herbst die Laufzeiten verlängert hat. Wir haben gelernt und es verstanden. Wir stehen jetzt auch zum Atomausstieg. Wir schließen uns als CDU Rheinland-Pfalz diesem gesellschaftlichen Konsens an. Wir wollen schnellstmöglich heraus, und zwar gegen die Atomlobby und, wenn es sein muss, auch gegen die FDP. Gehen Sie doch mit auf diesem Weg und bekennen Sie sich in diesem Haus endlich zum schnellstmöglichen und unumkehrbaren Atomausstieg. Ich glaube, es würde auch Ihrer Reputation gut tun.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Pörksen, SPD: Sehr gut!)
Ich komme gleich zu Ihrem Antrag.
Der Atomausstieg und die Energiewende sind zum Greifen nah. Ich sage das hier als jemand, der in den vergangenen Wochen und Monaten, aber auch schon die Jahre zuvor, an zahlreichen Montagsspaziergängen und -demonstrationen teilgenommen hat. Das ist ein großer Erfolg der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland und der Umweltverbände hier. Dazu sage ich auch als Mitglied der Anti-Atom-Partei – der Ministerpräsident hat es erwähnt, das war unser Gründungsimpuls –, darauf sind wir als GRÜNE besonders stolz.
Deswegen wirken wir konstruktiv und beharrlich an diesem Prozess mit, auch hier über die Landesregierung und mit unserer Energieministerin, meine Damen und Herren.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Nach 30 Jahren gemeinsamen Kampfes der GRÜNEN, der Anti-Atom-Bewegung, aber auch der Sozialdemokraten ist es nun möglich, den Atomausstieg endlich in einem breiten Konsens ein für alle Mal zu vollziehen. Der Kampf der Atomlobby, die letzten Herbst noch Oberwasser hatte, ist ein für alle Mal zu Ende. Die Menschen auf der Straße haben diesen Kampf gewonnen. Das ist eine gute Nachricht am heutigen Tag.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Dieser Prozess, der sich jetzt in dieser Geschwindigkeit vollzieht, und dieses eine Dutzend an Gesetzen und Verordnungen, das uns die Bundesregierung – übrigens handwerklich sehr schlecht gemacht – jetzt vorlegt, sind schon beachtlich. Das hat wenig damit zu tun, die Parlamente und Länder jetzt ausreichend mitzunehmen. Es geht Schwarz-Gelb und Angela Merkel einzig und allein darum, das Thema vor der Sommerpause noch abzuräumen. Es geht schlicht und ergreifend um den Machterhalt von Schwarz-Gelb in Berlin.
(Bracht, CDU: Das stinkt Euch!)
Das sind doch die Gründe. Schauen Sie sich die Landtagswahlergebnisse und Umfragezahlen an. Frau Klöckner hat Herrn Kretschmann gelobt. Ich bin froh, dass in Baden-Württemberg jetzt ein Grüner regiert und nicht dieser Atom-Mappus, der noch EnBW kurz vorher verstaatlicht hat. Das ist auch ein gutes Zeichen für die Republik.
(Heiterkeit und Beifall des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU – Bracht, CDU: Geht euch das zu schnell?)
Wir haben uns jetzt schon als Land in diesen Prozess eingebracht – der Ministerpräsident bei der Ministerpräsidentenkonferenz, die Umweltministerin und die Energieministerin in den Ausschüssen des Bundesrats –, und zwar konstruktiv eingebracht, weil man Schwarz-Gelb auf diesem Weg nicht allein lassen kann – das habe ich gesagt –, um das Beste herauszuholen und das herauszuholen, was die Menschen in diesem Land wollen, nämlich einen Ausstieg so schnell wie möglich.
Ich sage das hier auch als Grüner. Wir wollen einen noch schnelleren Ausstieg – bis 2017. Auch das Bundesumweltamt, dessen oberster Chef übrigens Ihr Kollege Norbert Röttgen ist, sagt, der sei möglich, der sei auch rechtssicher und energiesicher möglich. Aber wir sind auch bereit, an einem politischen Kompromiss mitzuwirken.
(Frau Klöckner, CDU: Eben war es Ihnen zu schnell!)
Jetzt muss man einmal den CDU-Antrag erwähnen, den Sie heute hier einführen. Sie fordern von der Landesebene, die Formulierungen und Vorgaben der EthikKommission umzusetzen. Was hat denn Schwarz-Gelb in Berlin aus der Ethik-Kommission gemacht? Wir streiten doch jetzt als Land dafür, dass die Beschlüsse der Ethik-Kommission wenigstens umgesetzt werden, weil Schwarz-Gelb nicht in der Lage war, die Vorgaben der Ethik-Kommission umzusetzen, weil sie wieder vor der FDP und der Atomlobby eingeknickt sind.
(Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)
Das ist doch die Wahrheit, und deswegen ist auch Ihr Antrag heute unglaubwürdig. So geht es nicht. Sie müssen unserem Antrag zustimmen. Das jedenfalls wird meine Fraktion tun.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Billen, CDU)
Es bedarf der Länder, dass dieser Quatsch von der atomaren Kaltreserve jetzt hoffentlich aus dem Gesetz herauskommt. Über die Sicherheitsvorkehrungen bei den bestehenden AKWs ist im schwarz-gelben Konzept überhaupt nicht die Rede, und das nach Fukushima. Sie wollen § 7 d Atomgesetz unverändert lassen und nicht das neueste kerntechnische Regelwerk anwenden, das die Sicherheit verbessern und garantieren würde. Wie wollen Sie das den Menschen da draußen erklären,
heute nach Fukushima und nach Tschernobyl? Das ist nicht mehr glaubwürdig.
Die Bundesregierung hat keinen Mut zu einer echten Energiewende. Da mussten wir auch Druck machen. Sie wollen die Onshorewindkraft abwürgen.
(Billen, CDU: Das ist doch nicht wahr!)
Die Fotovoltaik wird komplett abgewürgt, und die KraftWärme-Kopplung wird auch nicht weiter gefördert.
(Zuruf des Abg. Billen, CDU)
Stattdessen wollen Sie den Teufel Atom durch den Beelzebub Kohlekraftwerke austreiben. Das kann nicht sein. Wir stehen dafür, dass die Bundesregierung nachbessern muss. Das Ziel, bis 2020 40 % erneuerbare Energien, wollen wir erreichen. Das ist ambitioniert und bedeutet eine wirkliche Energiewende mit all den positiven Auswirkungen, auch für die Wirtschaftskraft in Rheinland-Pfalz.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Billen, CDU)
Wir handeln und setzen klare Zeichen, die CDU bleibt vage und im Ungefähren.
(Heiterkeit der Abg. Frau Klöckner und des Abg. Billen, CDU)
Dass wir handeln, bedeutet auch – das sage ich immer –, die Energiewende ist keine Kuschelpolitik. Frau Klöckner, ich habe, seitdem ich Mitglied in der Planungsgemeinschaft Rheinhessen-Nahe bin, ein einziges Mal gefehlt. Sie habe ich da noch nicht gesehen.
(Heiterkeit und Beifall des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Bracht, CDU – Frau Klöckner, CDU: Sie sind doch Mitglied! Ich bin kein Mitglied!)
Wir sind bereit, die Auseinandersetzung zu suchen, um den Ausbau von erneuerbaren Energien auch vor Ort mit den Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren und sie um den bestmöglichen Standort zu beteiligen. Was Sie wollen, ist Verhinderungsplanung von oben und wie im Bund Abbau von Bürgerbeteiligung beim Netzausbau insbesondere. Das werden wir nicht mitgehen, weil wir die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen werden. Es ist ein Konsens da, und es gibt auch einen Konsens für den Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik.
(Frau Klöckner, CDU: Das sehen die Landräte anders!)
Den sollten wir nutzenDas sollten wir hier nicht schlechtreden. Wir werden das mit unseren eigenen Leuten diskutieren. Dann werden die Bürgerinnen und Bürger vor Ort entscheiden, was sie wollen: mehr Windkraft, mehr Fotovoltaik, auf jeden Fall mehr neue Energien. Die Menschen sind so weit, vielleicht kommen Sie irgendwann auch noch einmal drauf.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Ich war an dem Tag, an dem die Nachricht von Fukushima zu uns gekommen war, als diese Katastrophe ihren Anfang genommen hat – man kann nicht sagen, dass sie passiert ist; denn sie passiert immer noch jeden Tag –, im Donnersbergkreis bei schönem Wetter, so wie heute, bei einem Moscheeverein. Wir haben nicht darüber gesprochen, wie die Akzeptanz des Islam in Deutschland aussieht, und wir haben nicht darüber gesprochen, wie die Rolle der Frauen im modernen Islam
beispielsweise definiert werden kann. Das war eigentlich vorgesehen. Wir haben anderthalb Stunden nur über ein einziges Thema gesprochen. Das war die Frage: Wie kommen wir schnellstmöglich aus dem Wahnsinn des Atomausstiegs heraus? Wie können wir diesen Wahnsinn Laufzeitverlängerung, den Schwarz-Gelb zu verantworten hat, rückgängig machen? Wie steigen wir in die erneuerbaren Energien ein? Da waren sich alle am Tisch einig.
Das ist auch etwas von gesellschaftlichem Konsens, den ich dort gespürt habe. Das hat die Koalition hier auf den Weg gebracht, und sie unterstützt diesen gesellschaftlichen Konsens. Dafür arbeitet die Landesregierung hier in Mainz, im ganzen Land und in Berlin über den Bundesrat.
Wir werden in Rheinland-Pfalz unsere Hausaufgaben machen. Wir machen hier unsere Hausaufgaben. Wir sagen Ja zu einem endgültigen Atomausstieg. Wir gehen den Weg in die erneuerbaren Energien100 % des Strombedarfs bilanziell bis 2030 sind ein ambitioniertes Ziel. Wir werden die Bürgerinnen und Bürger dabei mitnehmen. Der gesellschaftliche Konsens für den Atomausstieg und für die Energiewende ist da.
Wir sind bereit, ihn politisch umzusetzen.
Vielen Dank.
(Anhaltend Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
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