Verschlechterungen für Betroffene verhindert – Von umfassender Teilhabe noch weit entfernt

Bewertung des Bundesteilhabegesetzes von Daniel Köbler, MdL

Inklusion ist durch die UN-Behindertenkonvention von 2009 völkerrechtlich bindendes Menschenrecht. Das heißt wir müssen ein umfassendes Teilhaberecht für Menschen mit Behinderungen in Deutschland schaffen. Denn die aktuelle Sozialgesetzgebung der Eingliederungshilfe stammt im Wesentlichen aus den 1960er und 1970er Jahren und ist mit diesem Menschenrecht unvereinbar. Deshalb wird der Entwurf zum Bundesteilhabegesetzes diskutiert, das größte sozialpolitische Vorhaben zurzeit. Allerdings hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der diesem Anspruch nicht gerecht wird und in Teilbereichen sogar zu Verschlechterungen für die Betroffenen hätte führen können. Dieser Gesetzentwurf wurde  deshalb von Sozialverbänden und Initiativen, sowie von uns GRÜNEN massiv kritisiert. Die erste Lesung im Bundesrat fand am 23. September statt und dort wurden über 100 Änderungsvorschläge verabschiedet. Die finale Lesung findet im Bundestag am 1.Dezember und im Bundesrat am 16. Dezember statt. Sozialverbände, AktivistInnen aus der Behindertenbewegung und Initiativen, wie das Bündnis für ein gutes Teilhabegesetz sowie wir GRÜNE haben diese Zeit genutzt uns für umfangreiche Verbesserungen mit Nachdruck einzusetzen. Die Koalitionsfraktionen in Rheinland-Pfalz haben beispielsweise hierzu einen Antrag mit Bedingungen für ein Bundesteilhabegesetz im Landtag beschlossen (http://www.landtag.rlp.de/landtag/drucksachen/1144-17.pdf).
In den Verhandlungen der Länder mit den Koalitionsfraktionen im Bundestag konnten wir  einige Verbesserungen im Gesetz erzielen. So wird der Kreis der leistungsberechtigen Personen nicht eingeschränkt, es gilt der Vorrang für inklusives Wohnen, es erfolgt eine klarere Abgrenzung zur Hilfe zur Pflege und die Kostenfolgen sollen evaluiert werden. Damit konnten wir drohenden Verschlechterungen zum heutigen Zustand abwenden.  Das Gesetz verfehlt allerdings weiterhin das Ziel die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention Menschen mit Behinderung gleiche Chancen und Rechte zu gewähren, umzusetzen.
So führt die  Aufhebung der Unterscheidung von ambulant und stationär beim Wohnen in Kombination mit dem Mehrkostenvorbehalt dazu, dass im Zweifelsfall Menschen mit Behinderung kein Wahlrecht haben und in Heime gedrängt werden.  Auch die Möglichkeit, künftig Assistenzleistungen im Freizeitbereich gegen den Willen der Betroffenen zu ‚poolen‘, also Leistungen für mehrere Anspruchsberechtigte gemeinsam zu erbringen, sehen wir weiterhin kritisch. Denn so sinnvoll eine freiwillige gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen ist, darf es keinesfalls eine Quasi-Pflicht aus reinen Kostengründen dazu geben. Es hätte klar sein müssen, dass Assistenzleistungen selbstbestimmt gewählt werden können müssen, um  ein eigenständiges Leben zu ermöglichen.
Für uns ist klar, dass Teilhabe unabhängig vom Einkommen der Person organisiert werden können muss. Wir haben den Freibetrag für Vermögen von 2600 € auf 50000 € und den Schonbetrag für GrundsicherungsempfängerInnen auf 5000 € im Gesetzentwurf anheben können. Es  musste für uns auch sichergestellt sein, dass Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt nicht weniger verdienen als im Leistungsbezug. Deshalb haben wir ein bundesweites Budget für Arbeit und für einen befristeten Zeitraum in den Gesetzentwurf hinein verhandelt. Dazu wird es eine unabhängige Beratung, die vom Bund finanziert wird geben.
In den Verhandlungen konnten wir einige der gravierendsten Verschlechterungen im Gesetz abwenden, ein GRÜNES Gesetz ist das BTHG allerdings bei weitem nicht geworden. Wir haben uns in einem Abwehrkampf wiedergefunden, um die schlimmsten Verschlechterungen abzuwenden. Auch mit diesen Änderungen hat das Bundesteilhabegesetz keinen Paradigmenwechsel zu einer inklusiven Behindertenpolitik im Sinne der Selbstbestimmung und umfänglichen Teilhabe der Menschen geschaffen, wie wir es uns gewünscht hätten. Wir GRÜNE werden uns daher weiterhin für die Stärkung selbstbestimmter Teilhabe und Verbesserungen in der Lebenswirklichkeit der Menschen einsetzen, denn Inklusion ist für uns Kernbestandteil moderner Gesellschaftspolitik und eine zentrale Gerechtigkeitsfrage.

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