Der furchtbare terroristische Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19.12.2016, der Tod von 12 Menschen und die vielen Verletzen haben uns alle tief bestürzt. Unsere Gedanken sind bei den Opfern – den Toten und den zahlreichen Verletzen. Auch die jüngsten Terroranschläge in Paris, Brüssel, Istanbul, Essen, Nizza, Würzburg, Ansbach haben gezeigt, dass der islamistisch motivierte Terrorismus in Europa und auch in Deutschland angekommen ist. Den Sicherheitsbehörden sind deutschlandweit derzeit 548 islamistische Gefährder bekannt, die nicht alle in Deutschland leben. Aktuell halten sich 224 Gefährder mit ausländischer Staatsangehörigkeit in Deutschland auf. Bei 62 von ihnen wurde der Asylantrag abgelehnt und sie sind ausreisepflichtig. Mangels gültiger Ausweispapiere kann die Ausreisepflicht nicht durchgesetzt werden. Die rheinland-pfälzischen Behörden stufen derzeit 14 Personen als Gefährder ein. Die Hälfte davon befindet sich aktuell im Ausland, zwei befinden sich in Haft.
Der menschenverachtenden Brutalität islamistischer Terroristen muss entschieden und effektiv auf allen staatlichen Ebenen und mit allen rechtstaatlichen Mitteln begegnet werden. Der Schutz vor jeglicher Form des Terrors muss entschlossen effektiviert werden, denn wir brauchen die bestmögliche Sicherheit für alle. Das Gewaltmonopol des Staates ist konstitutiv für unsere Demokratie. Die Unbefangenheit und Angstfreiheit im öffentlichen Raum ist ein Ausdruck von Freiheit, die wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verteidigen. Dabei ist festzustellen, dass es sich bei islamistischem Terrorismus nicht mehr nur um ein importiertes Phänomen handelt. Es handelt sich vielmehr um Terror, dessen Wurzeln und Ursachen im Inneren eines Landes zu suchen sind. Der islamistisch motivierte Terrorismus hat in Europa und Deutschland einen Nährboden gefunden.
Vorsicht ist besser als Nachsicht: Prävention stärken
Derartige Radikalisierungsphänomene können nur mit Hilfe von Prävention zurückgedrängt werden. Allein gefahrenabwehrrechtliche und repressive Maßnahmen der Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden können hier nicht ausreichend sein, da sie erst greifen, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. Radikalisierungsprozesse verlaufen komplex und individuell aber nicht unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jedwede Form von Radikalisierung zu verhindern. Nur unter Berücksichtigung eines Präventionsansatzes, der ganzheitlich ausgerichtet ist und staatliche wie nichtstaatliche Akteure in gleichem Maße miteinbezieht, lassen sich Radikalisierungstendenzen frühzeitig erkennen und im Vorfeld verhindern.
Die Gefahr, dass die Ansprache junger Muslima und Muslime durch islamistische Ideologen erfolgreich sein kann, steigt, wenn diese jungen Menschen ausgegrenzt werden oder sie pauschalen Verdächtigungen unterliegen. Eine Politik, die den Islam nicht als in Deutschland praktizierte Religion akzeptiert oder die durch Unterstellungen ein Gegeneinander von Kulturen und Religionen befördert, bereitet den Nährboden für Desintegration, Demokratiefeindlichkeit und Radikalisierung.
Frühzeitige Präventionsarbeit ist daher integraler Teil einer effektiven Strategie für Innere Sicherheit, denn umfassende Prävention und frühzeitige Intervention kann, was keine Technik und keine Kamera dieser Welt kann: Straftaten im Vorfeld verhindern. Wir müssen alles tun, damit junge Menschen nicht in menschenverachtende, Gewalt propagierende Ideologien abgleiten und dort, wo es bereits passiert ist, intervenieren und die Menschen zurückholen in unsere freiheitliche Gesellschaft. Radikalisierung muss dort bekämpft werden, wo sie entsteht. Gleichzeitig muss Identifikation mit der freien, toleranten und vielfältigen Gesellschaft unterstützt werden, die Diskriminierungen aus rassistischen Gründen, aufgrund der Herkunft, der Religion oder Weltanschauung oder sexuellen Identität klar entgegentritt. Zur Prävention und Deradikalisierung gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden stärker mit zivilgesellschaftlichen Trägern zusammenarbeiten. Gute Schulen und eine starke Kinder- und Jugendhilfe trocknen den Nährboden für Radikalisierung aus, wenn sie Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen verringern. Auch islamischen Verbände, Moscheegemeinden und Imame sind in der Verantwortung, zu kooperieren und ihren Beitrag zur Prävention und Verhinderung der Radikalisierung von Jugendlichen zu leisten.
Den Salafismus in Deutschland bekämpfen
In Deutschland stellt insbesondere die salafistische Szene ein wesentliches Rekrutierungsfeld für die islamistische Radikalisierung dar. Salafismus lässt sich als eine transnationale und fundamentalistische Strömung im sunnitischen Islam verstehen. Die Anhänger des Salafismus richten ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Korans, dem Vorbild des Propheten Muhammad und der ersten drei muslimischen Generationen der Altvorderen aus. Es handelt sich hierbei um eine radikale Auslegung des Islams, die in letzter Konsequenz zu einer Errichtung eines Gottesstaates unter Geltung der Scharia führen soll, in welchem die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung mehr haben kann. Innerhalb des Salafismus muss zwischen einem gewaltorientierten und einem gewaltfreien Spektrum unterschieden werden. Aufgrund derartiger extremistischer Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung steht die salafistische Szene in Deutschland im Fokus der Sicherheitsbehörden.
In der Bundesrepublik verfolgen nach Schätzungen der Sicherheitsbehörden ca. 9.700 Personen salafistische Bestrebungen, Tendenz weiter steigend. Nach Auffassung der Sicherheitsbehörden standen fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind, um sich dort an Kampfhandlungen zu beteiligen, zuvor mit salafistischen Strukturen in Kontakt. Für Deutschland wurden im Jahr 2015 790 Ausreisefälle bekannt.
Salafistische Akteure werben gezielt über Foren im Internet, in sozialen Netzwerken oder auf der Straße (Koranverteilaktionen, Islamseminare, islamistische Prediger) meist junge Personen an, um diese zu radikalisieren. Nach Erkenntnissen der rheinland-pfälzischen Sicherheitsbehörden verfolgen unter den ca. 450 Islamisten in Rheinland-Pfalz 150 Personen salafistische Bestrebungen. Die Zahlen belegen zwar, dass Rheinland-Pfalz nicht zu sog. salafistischen Hochburgen zählt. Dennoch führt die Verbreitung der salafistischen Ideologie im Internet oder durch Anwerbeversuche auch zu einer Erhöhung des salafistischen Personenpotentials in Rheinland-Pfalz. Mit einer Ausreise erhöht sich nicht nur die Gefahr einer weiteren Radikalisierung inklusive Kampferfahrung oder des Anschlusses an eine Terrororganisation, mit ihr ist auch die spätere Rückkehr zur Umsetzung von möglichen Anschlagsplänen verbunden.
In Bezug auf die statistische Zusammensetzung radikalisierter Gruppen lässt sich feststellen, dass insbesondere junge Menschen als Zielgruppe angeworben werden. Ein Großteil der Anhängerschaft wurde in Deutschland geboren und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie wurden in Deutschland sozialisiert und radikalisierten sich hier. Offenbar konnten sie keinen Platz in unserer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft finden.
Präventive Maßnahmen bündeln – Zivilgesellschaft involvieren
Es wurden schon gute Schritte hin zu einer besseren Prävention im Bereich islamischer Extremismus unternommen. Zur Intervention wurden am 20.1 von der Landesregierung umfangreiche sicherheitspolitische Maßnahmen beschlossen, darunter mehr Personal für die Polizei, den Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt. Außerdem wurde die Präventionsarbeit gestärkt. So wurde die Umsetzung des Konzepts zur Verhinderung islamistischer Radikalisierung junger Menschen in Rheinland-Pfalz unter Federführung des Ministeriums für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz angestoßen. Dieses Konzept basiert auf den zwei wichtigen Säulen der Prävention und Intervention und bietet ein nicht sigmatisierendes Präventionsangebot für den Einzelnen, als auch die Unterstützung und Begleitung für dessen örtliche Umsetzung. Es beinhaltet ein Modellprojekt zur praxisnahen Qualifizierung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie Maßnahmen gegen Muslimenfeindlichkeit und Islamophobie beinhaltet.
Wir haben durch das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz die für Intervention zuständige Beratungsstelle Salam gegründet und am Institut zur Förderung von Bildung und Integration (INBI) angesiedelt. Dabei war uns die Einbindung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge als möglichen ersten Ansprechpartner für Betroffene über eine Hotline wichtig, damit schnellstmöglich Präventiv- oder Interventionsmaßnahmen eingeleitet werden können. Die Beratungsstelle Salam, berät auch die Angehörigen, den Freundeskreis und Einrichtungen, wie Schulen und Jugendzentren, wie eine De-Radikalisierung im Umfeld unterstützt, wie einer Radikalisierung vorgebeugt werden kann und informiert welche Hilfsangebote zum Ausstieg von Rückkehrern angenommen werden können. Außerdem haben wir die Islamismusprävention in der Landeskoordinierungsstelle gegen Extremismus im Landesjugendamt erweitert. Das Land fördert die Präventionsarbeit gegen Islamismus derzeit mit 500.000 Euro.
Die Zivilgesellschaft wird durch die Gründung des Beirats zum Landeskonzept, in dem zahlreiche behördliche, zivilgesellschaftliche Organisationen und muslimische Verbände vertreten sind, eingebunden. Durch die Gründung des Präventionsnetzwerkes DivAN (Diversitätsorientiertes Arbeiten im Netzwerk) fördern wir die Vernetzung der Akteure im Land. Das Modellprojekt „Leitplanke“ qualifiziert Haupt- und Ehrenamtliche aus der Kinder- und Jugendarbeit, Schulen, muslimischen Gemeinden im Rahmen von Fortbildungen, damit diese im Umgang mit religiöser Radikalisierung handlungssicher agieren können.
Präventionsnetzwerke etablieren, Beratungsstellen stärken und Aussteigerprogramme schaffen
Wir müssen allerdings weiterhin die Umsetzung des Konzepts zur Verhinderung islamistischer Radikalisierung junger Menschen in Rheinland-Pfalz konsequent fortzuführen und die Konzeption dahingehend weiterzuentwickeln, dass eine klare Trennung von Prävention und Intervention vorliegt.
Die Zuständigkeiten der Fachressorts zur Gewaltprävention wollen wir durch das Projekt „Koordination Prävention gegen Gewalt (KoPG)“ bündeln. Ziel muss es sein alle Maßnahmen in diesem Bereich zukünftig von einer zentralen Koordinierungsstelle Prävention gegen Gewalt zu steuern und zu koordinieren. Außerdem muss die Öffentlichkeitsarbeit der Projekte ausgebaut werden, damit die Menschen wissen an wen sie sich im Land wenden können. In diesen Prozess sollen auch zivilgesellschaftliche Organisationen gezielt eingebunden werden. Dafür brauch es auch im ländlichen Rheinland-Pfalz ein Budget im siebenstelligen Bereich. Hier müssen wir aufstocken und das werden wir auch.
Wir müssen den Tendenzen einer Islamophobie entschieden entgegen zu treten und den bewährten Dialog mit den muslimischen Verbänden am Runden Tisch Islam fortsetzen, ihn zu verfestigen und zielgerichtet zu intensivieren.
Wichtig wäre auch eine institutionelle Koppelung mit der Rechtsextremismus-Bekämpfung zu implementieren, da sich die Radikalisierungsphänomene ähneln und wir hier über jahrelange Erfahrung verfügen. Erfolgreiche Maßnahmen und Strukturen könnten dann adaptiert werden. Beispielsweise könnten aus dem Bereich der Rechtsextremismusprävention ein Anti-Salafismus-Modul für Schulen entwickelt werden, wie es Projekte wie das Netzwerk für Demokratie und Courage seit Jahren erfolgreich an rheinland-pfälzischen Schulen vermitteln.
Auch in Rheinland-Pfalz brauchen wir eine Hotline, an die sich anonym gewendet werden kann, wenn jemand islamistische Umtriebe melden oder gar selbst aus der Szene aussteigen will. Aussteigerprogramme nicht Fußfesseln sind die besten und wirkungsvollsten Interventionsprogramme. Die Arbeit von islamischen Seelsorgern in den Justizvollzugsanstalten muss systematisiert und ausgeweitet werden. Der Zugriff auf Daten und der Informationsaustausch über Salafisten und potentielle Gefährder zwischen den Behörden und Koordinierungsstellen muss vereinheitlicht und zu erleichtert werden, sowie die grenzüberschreitende länderübergreifende Zusammenarbeit bei Präventions- und Interventionsmaßnahmen gestärkt werden. Die einzelnen Maßnahmen sind regelmäßig zu evaluieren und ggf anzupassen. Denn eins ist wirklich sicher: Wer behauptet es gibt die eine wirkungsvolle Maßnahme gegen Extremismus, liegt falsch – mit Sicherheit.
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