Landtag Rheinland-Pfalz – 17. Wahlperiode – 5. Sitzung, 23.06.2016
Vizepräsidentin Barbara Schleicher-Rothmund:
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Kollege
Köbler das Wort.
Abg. Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, dass es sehr
begrüßenswert und gut, eigentlich überfällig ist, dass die
Bundesregierung unseren grünen Vorschlag aufgegriffen
hat, dass es in Deutschland nun endlich ein Integrationsgesetz
geben soll,
(Abg. Martin Brandl, CDU: Oh, oh, oh!)
und zwar ein Integrationsgesetz, das vor allem erkennt,
dass es für die Menschen, die zu uns kommen und die
bei uns bleiben werden, die Möglichkeit geben muss, sich
hier entsprechend integrieren zu können. Das betrifft viele
richtige Vorschläge, was Lockerung beim Zugang zum Arbeitsmarkt
angeht. Ich hoffe, dass wir die Vorrangprüfung
im weiteren Verfahren noch ganz abschaffen können. Das
betrifft, dass die Bundesregierung endlich zur Erkenntnis
gekommen ist, dass es ausreichend Sprachkurse für die
Menschen geben muss, und vor allem auch, dass es ausreichend
Integrationskurse geben muss und jeder Mensch,
der hier bei uns bleibt, einen solchen Integrationskurs, egal
wo er in Deutschland ist, besuchen muss.
Das geht schon in die richtige Richtung, auch wenn wir
uns vieles von dem, was wir als Recht auf Integration bezeichnet
haben, noch mutiger hätten vorstellen können.
Frau Klöckner, von Ihrem Pflichtenheftchen à la engstirniger
Leitkultur ist da nicht mehr viel übrig geblieben. Da
hat die Kanzlerin einmal mehr Ihre Vorschläge hier aus
Rheinland-Pfalz kassiert, liebe CDU.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und der SPD)
Das ist vielleicht auch der Grund, warum Sie hier sozusagen
etwas hyperventilierend auf einen Punkt, den wir
beim Integrationsgesetz durchaus sehr kritisch sehen, versuchen
herumzureiten. Das ist das Thema der Wohnsitzauflage.
Ich glaube, man sollte sich bei jeder Regelung
zunächst einmal fragen, aus welcher Analyse der Situation
eigentlich eine Regelung entsteht. Man sollte nur etwas regeln,
wo auch tatsächlich ein Regelungsbedarf – das heißt,
ein Problem – besteht. Es ist hier jetzt gesagt worden, es
wird befürchtet, dass es sozusagen eine massenhafte Binnenwanderung
von ehemaligen Flüchtenden gibt. Es geht
um die, die einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Der
ist deutlich so nicht erkennbar, und den hat es auch in der
Vergangenheit nicht gegeben. Es wurde vorgetragen, man
befürchtet sozusagen eine Ghettoisierung innerhalb der
Städte.
(Abg. Uwe Junge, AfD: Das ist schon da!)
– Ja, wir haben auch in Deutschland, glücklicherweise nicht
so wie in anderen Ländern Europas, Tendenzen von Ghettoisierung
erlebt. Jetzt müssen wir uns das aber einmal
genau anschauen.
(Zurufe von der AfD)
Es gab ja bis vor knapp zehn Jahren eine Wohnsitzauflage
im Sozialrecht und durchaus auch im Aufenthaltsrecht,
bevor die richterlich und auch gesetzlich gekippt worden
ist. Die Ghettoisierung hat ja vorher stattgefunden.
(Abg. Joachim Paul, AfD: Ach ja! –
Abg. Uwe Junge, AfD: Das wird jetzt nicht
besser!)
Die Ghettoisierung ist auch Ausfluss einer verfehlten
Wohnraum- und Sozialpolitik. Da ist es in den letzten zehn
Jahren eher besser geworden als schlechter. Ich finde, den
Weg mit einer mutigen und aktiven Wohnraumpolitik gilt es
gemeinsam weiter zu gehen, meine Damen und Herren.
Dann stellen wir uns doch einmal die Frage, was hier eigentlich
suggeriert wird. Wir alle wissen, warum Menschen
eigentlich umziehen, wenn sie einmal ihren Wohnsitz haben.
Dafür gibt es eigentlich drei Hauptgründe. Das eine
ist, dass sie Arbeit finden. Der Gesetzentwurf sagt ganz
genau da, wenn die Menschen einen Arbeitsplatz gefunden
haben, dann dürfen sie auch umziehen. Dann greift
die Wohnsitzauflage nicht.
Der zweite Grund ist die Familie. Menschen ziehen um,
weil sie zu ihrer Familie möchten. Auch da sagt der Gesetzentwurf,
wenn Angehörige da sind, wenn sozusagen
Familienzusammenführung stattfindet – das ist richtig, das
ist integrationspolitisch fördernd –, greift der Gesetzentwurf
nicht.
Dann gibt es noch einen dritten Grund. Das ist, wenn ich
eine Wohnung finde, die mir besser gefällt, die vielleicht
meine eigene ist, wo ich nicht in einer Gemeinschaftsunterkunft
wohne. Deswegen ziehe ich auch um. Jetzt sagt
der Gesetzentwurf, genau dann ist eine Wohnsitzauflage
zu verhängen, wenn eine angemessene Versorgung
mit Wohnraum nicht zur Verfügung steht. Wenn aber ein
Mensch, der hier einen Aufenthaltsstatus hat, eine Wohnung
findet, dann steht im Umkehrschluss logischerweise
genug Wohnraum zur Verfügung, sonst hätte er keine
Wohnung gefunden. Also auch das kann nicht der Regelungsgrund
sein.
(Zurufe der Abg. Joachim Paul, AfD, und Dr.
Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN)
Frau Beilstein, ich bin Ihnen dankbar, es geht – – –
(Glocke der Präsidentin)
Vizepräsidentin Barbara Schleicher-Rothmund:
Ich bitte Sie, die Zwiegespräche einzustellen.
Herr Köbler, Sie haben das Wort.
Abg. Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Frau Beilstein, ich bin Ihnen dankbar, es geht gar nicht so
sehr um die sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen,
sondern es geht faktisch um die Sorge der Kommunen
und insbesondere der Städte vor höherem finanziellen und
organisatorischen Aufwand, die ich als Kommunalpolitiker
nachvollziehen kann. Aber genau da – so sagt unsere Verfassung,
das hat der Europäische Gerichtshof jetzt wieder
bestätigt – liegt Verfassungswidrigkeit vor, wenn ein solcher
harter Eingriff – die Kollegin Becker hat es gesagt – in
die Freizügigkeit eines Individuums damit begründet wird,
dass die Lastenverteilung innerhalb des Staates schief
liegt und geordnet werden muss. Genau das darf nicht
geschehen.
Deswegen müssen wir uns schon die Frage stellen: Kann
es eigentlich sein, dass wir eine völlig fehlgeleitete Verteilung
von Finanzen bundesweit aufgrund des Bundes, was
die Übernahme von Sozialleistungen angeht, zuungunsten
der Städte in unserem Land auf eine Bevölkerungsgruppe
abwälzen wollen, die unter Umständen noch von Leistungen
des Staates abhängig ist?
Da sage ich ganz klar Nein. Dieses staatspolitische Versagen
muss innerhalb der Bund-Länder-Finanzierung und
innerhalb der Kommunalfinanzen geregelt werden. Deswegen
muss das, was im Koalitionsvertrag Ihrer Regierung
steht, endlich umgesetzt werden, dass insbesondere auch
die Städte von den Kosten der Sozialleistungen bei der
Eingliederungshilfe und den Kosten der Unterkunft entlastet
werden.
(Glocke der Präsidentin)
Dann haben Sie den Städten wirklich geholfen, und nicht
deswegen, dass Sie hier den Flüchtlingen innerhalb ihrer
Freiheit unsinnig einseitig Steine in den Weg legen.
Darüber müssen wir reden. Dann sind wir auch zu guten
gemeinsamen Lösungen für die Integration in unserem
Land bereit.
Herzlichen Dank.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
der SPD und der FDP)
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