Präsident Mertes:
AKTUELLE STUNDE
„Haltung der Landesregierung zu den vorab veröffentlichten Ergebnissen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung“ auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/1628 –
Vielleicht darf ich nur noch einmal der guten Ordnung halber darauf hinweisen, wenn die Landesregierung bei ihrer Antwort mehr als sieben Minuten in Anspruch nimmt, wird diese Zeit an die Fraktionen wie folgt verteilt: Die Fraktion der CDU bekommt die volle Überschreitung sozusagen gutgeschrieben und die beiden anderen Fraktionen jeweils die Hälfte dieser Überschreitung als zusätzliche Zeit. Es ist vielleicht besser, ich sage es vorher, als es nachher anzuwenden.
Herr Kollege Köbler, Sie haben das Wort.
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste, die vorab öffentlich gewordenen Ergebnisse des neuen Armuts-und Reichtumsberichts der Bundesregierung müssen uns hier alarmieren. Wir haben relativ konstante Wirtschaftszahlen. Wir haben sehr niedrige Arbeitslosenzahlen, und dennoch ist die Armut in der Bundesrepublik Deutschland weiter dramatisch hoch bei 15 %. Sie nimmt sogar leicht zu.
Vor allem geht die Schere zwischen Arm und Reich in unserer Gesellschaft immer weiter auseinander. Die Bundesregierung hat dazu keine Antwort und keine Konzepte, nein, der Wind der sozialen Kälte bläst von Berlin durchs ganze Land, meine Damen und Herren. Gerechtigkeit ist der blinde Fleck der schwarz-gelben Bundesregierung.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)
Ich nehme als Beleg mit Erlaubnis des Präsidenten einmal das „Handelsblatt“, das nicht gerade als kommunistisches Organ verschrien ist. Dem ist zu entnehmen, dass der Wirtschaftsminister für seine Farbe in Anspruch nimmt, diesen Bericht in dieser Form abzulehnen. Er verschließt die Augen vor den sozialen Problemen und sagt, dieser Bericht entspricht nicht der Meinung der Bundesregierung. Hier wird versucht, die sozialen Probleme, die wir in Deutschland haben, wegzuredigieren und kleinzureden, um der neoliberalen Ideologie Vorschub zu leisten, die diese Bundesregierung vertritt. Wenn es nicht symptomatisch ist, so zeigt das „Handelsblatt online“ Herrn Rösler, wie er am Champagner nippt. Meine Damen und Herren, es wird Zeit, dass diese Form der spätrömischen Dekadenz in Deutschland endlich ein Ende findet.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Ich bin sehr froh, dass die rot-grüne Landesregierung sich dieses Themas annimmt und das Thema „Armutsbekämpfung und Stärkung der sozialen Teilhabe für alle Menschen“ ganz oben auf die Agenda geschrieben hat. Das fängt an beim Thema „kostenfreie Bildung“. Das Thema „kostenfreie Bildung“ ist vor allem auch eine Gerechtigkeitsfrage. Ich bin froh, dass wir diesen Weg konsequent fortsetzen, was die Beitragsfreiheit im Kindergarten, die kostenlose Schülerbeförderung und auch die Abschaffung sämtlicher Studiengebühren angeht; denn eine Zahl, die in der Diskussion etwas untergeht, muss uns doch alarmieren. 7,5 Millionen Deutsche sind nach diesem Bericht funktionale Analphabetinnen und Analphabeten.
(Unruhe im Hause – Glocke des Präsidenten)
Präsident Mertes:
Meine Damen und Herren, es ist sehr viel Unruhe im Raum, und das schon beim ersten Redner. – Bitte schön.
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Vielen Dank. Diese Zahl von 7,5 Millionen Analphabeten ist auch ein Beleg dafür, dass mehr Gerechtigkeit und soziale Teilhabe ganz grundsätzlich vom Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung abhängt. Da ist Rheinland-Pfalz ganz vorn mit dabei. Das ist eine gute Nachricht. Es gibt die Charta gegen Armut, die Sozialministerin Dreyer mit den Verbänden der Landesarmutskonferenz verabschiedet hat. Nun geht es daran, einen Aktionsplan gegen Armut in Rheinland-Pfalz aufzulegen und abzuarbeiten. Es gibt vielfältige Ansätze zum Thema „gute Arbeit“; denn es ist nicht wahr, wie es CDU und FDP sagen, dass sozial ist, was Arbeit schafft, sondern es kommt darauf an, dass man von seiner Arbeit auch leben kann, es gute Arbeit ist und ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt wird. Dass die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse dramatische Ausmaße angenommen hat, das bedeutet jetzt schon eine große Zahl an Aufstockern, aber das wird vor allem auch im Alter bedeuten, dass die Rentenansprüche zu gering sind. Wir laufen sehenden Auges in eine Zunahme, in ein neues Phänomen von Altersarmut. Das Einzige, was die Bundesregierung dazu zu bieten hat, ist koalitionsinterner Streit und keinerlei Konzept, meine Damen und Herren.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Umso erfreulicher ist die Nachricht, dass das Kabinett beschlossen hat, dass nach dem Landestariftreuegesetz jetzt hier der Mindestlohn von 8,70 Euro bei öffentlichen Vergaben gezahlt werden muss. Ich denke, das ist eine gute Nachricht. Ganz anders die Bundesregierung, die nach wie vor den Mindestlohn blockiert, was auch von der rheinland-pfälzischen CDU goutiert wird. Ihre Kollegin in Thüringen ist da schon viel weiter als sie, meine Damen und Herren. Sie versperrt sich einem gesetzlichen Mindestlohn wenigstens im Grundsatz nicht mehr. Folgen sie den Kollegen aus Thüringen. Ein Mindestlohn trägt auch dazu bei, dass man von seiner Arbeit leben kann, und vor allem auch, dass die Altersarmut entsprechend eingedämmt werden kann.
(Glocke des Präsidenten)
Es geht aber nicht nur um Armut, es geht auch um die Frage von Verteilung und Vermögen. Ich denke, es ist gut, dass es auch ein Reichtumsbericht ist. Dazu werden wir in der zweiten Runde etwas hören.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
(…)
Präsident Mertes:
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Kollege Köbler. Er hat statt zwei Minuten jetzt noch drei Minuten Redezeit. Die SPD-Fraktion hat auch drei Minuten und die CDU-Fraktion vier Minuten Redezeit. Damit ist die Redezeit der Landesregierung ausgeglichen.
(Baldauf, CDU: Da kann ich mir ja noch was aufschreiben! –
Ministerpräsident Beck: Denken wäre noch besser!)
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Gäste!
Herr Baldauf, ich fand es interessant, dass Sie sich in dem öffentlich ausgetragenen Streit zwischen der CDU-Ministerin von der Leyen und FDP-Minister Rösler auf die Seite der FDP geschlagen haben. Ich denke, das können Sie noch einmal innerparteilich klären. Sie haben gesagt, dass Sie gegen eine Umverteilung und für Leistung sind. Ich will Ihnen aber sagen – Frau Ministerin Dreyer hat es angesprochen –, dass Ihre Regierung doch umverteilt, und zwar von unten nach oben. Sie kürzen die Umsatzsteuer für Hoteliers. Gleichzeitig werden die Mittel für Langzeitarbeitslose um ein Drittel gekürzt. Das ist ganz klar. Die Reichen bekommen mehr. Für die Armen ist weniger übrig.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Sie haben mir einen Ansatzpunkt gegeben. Vielleicht kommen wir noch ein bisschen zusammen. Sie haben gesagt, bei diesen 0,1 %, die in Saus und Braus leben, könnte man einmal heran. Ich will Ihnen einmal die Zahl sagen. 1 % der Bevölkerung in Deutschland hat ein Privatvermögen von fast 3 Billionen Euro. Zum Vergleich, die gesamtstaatlichen Schulden liegen bei 1 Billion Euro. Da müssen wir ran. Es ist ein guter Weg, wenn die GRÜNEN-Bundestagsfraktion diese Woche die Vermögensabgabe als Gesetz mit dem klaren Ziel einbringt, dass die Kosten, die wir haben, zur Überwindung der Finanzkrise, insbesondere der Bankenrettung, auch von denen mitfinanziert werden, die davon profitiert haben. Es sind nämlich die Vermögenden, die ihre Gelder bei den Banken angelegt haben und am meisten davon profitieren, dass die Steuerzahler die Banken gerettet haben. Deswegen ist es richtig, die Vermögenden an der Finanzierung dessen zu beteiligen, meine Damen und Herren.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Glauben Sie mir, es reicht nicht, nur von der Staatsschuldenkrise zu reden. Wir haben in Deutschland und europaweit vor allem ein Gerechtigkeitsproblem, und wir haben auch eine Verteilungskrise. Demokratische Staaten mitten in Europa, in denen die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, werden zukünftig ein Problem bekommen. Deswegen dürfen Sie dieses Problem nicht trivialisieren. Ich glaube, wir brauchen deswegen die Vermögensteuer auch für die Länder, weil wir die Zukunftsinvestitionen zur Armutsbekämpfung vor Ort leisten. Das sind die Investitionen in Bildung. Das ist konkret die Investition in Teilhabegerechtigkeit, auch das, was wir den Kommunen zukommen lassen müssen. Ich finde es richtig, wenn in einer Größenordnung von 1 % diese Vermögenden, die 10 Billionen Privatvermögen in Deutschland haben, mit einem kleinen Beitrag dazu beitragen, damit es in diesem Land etwas gerechter zugeht und die Zukunft für alle Menschen in diesem Land einigermaßen rosig aussieht. Deswegen ist es richtig, an die Besteuerung von Vermögen heranzukommen. Herr Baldauf, treten Sie dem näher, dann kommen wir vielleicht auch irgendwann zusammen, weil eine Volkspartei wie die CDU hält das irgendwann nicht mehr aus.
(Glocke des Präsidenten)
Deswegen hoffe ich, dass Sie mit der Zeit zur Einsicht kommen.
Herzlichen Dank.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
AKTUELLEN STUNDE
„Kürzungen der Fördermittel zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen durch die Bundesregierung – Schließung von Warenkorb-Kaufhäusern in Rheinland-Pfalz“ auf Antrag der Fraktion der SPD
– Drucksache 16/1639 –
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Gäste!
Die Brisanz des Themas möchte ich anhand des Zitats von Herrn Schlosser von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung – wenn ich darf – ausdrücken: „Sozialkaufhäuser sind mehr als nur ein Kaufhaus. Einerseits bieten sie Hilfs- und Weiterbildungsangebote für arbeitslose Menschen und andererseits sind sie Orte konkreter Hilfe für Sozialbedürftige“. – Im Gegensatz zu Ihnen hat er auch etwas zur Verantwortung gesagt, Frau Thelen. Er sagt: „Mit diesem Schritt verabschieden sich Politik und Kirche weiter aus einem Feld, das in unserer Gesellschaft leider immer mehr Bedeutung erlangt, der Armutsbekämpfung“. –
(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Ja!)
Dem kann man sich insofern anschließen, dass das die Debatte von vorhin konkret macht. Wir haben vorhin über abstrakte Zahlen geredet, jetzt reden wir über ganz konkrete Fälle. Frau Thelen, Sie haben Vieles in Ihrer Problemanalyse richtig gesagt, aber Sie haben nicht benannt, wer dafür die Verantwortung trägt. Sie haben es auch falsch dargestellt. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr 25 % bei den Budgets der Job-Center gekürzt und in diesem Jahr noch einmal 17 %.
(Frau Brede-Hoffmann, SPD: Ja!)
Dann kann es hier nicht heißen: „Haltet den Dieb“, wenn die Sozialkaufhäuser zumachen, weil die Zuschüsse gekürzt werden. – Dann muss man ganz konkret sagen, die unsoziale Politik dieser Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass die sozialen Einrichtungen bei uns in Rheinland-Pfalz untergehen. Das ist doch die Realität in diesem Land.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Sie haben nicht ganz unrecht. Herr Gerster ist auch ein kluger Mann gewesen.
(Weiner, CDU: Wahlkampfrhetorik für die Bundestagswahl!)
Es gibt auch Wildwuchs in dem Bereich, ja. Aber das, was die Bundesregierung macht, ist, als ob ich im Blumenbeet ein bisschen Unkraut habe und dann mit dem schweren Rasenmäher darüberfahre. So sind die Auswirkungen, die wir vor Ort erleben. Wir haben den Existenzgründerzuschuss. Das ist mit das erfolgreichste Instrument, das die Job-Center haben. Dieser Zuschuss ist massiv gekürzt worden, sodass diese Menschen, die sich eine eigene Existenz aus der Arbeitslosigkeit heraus aufbauen können, jetzt diese Perspektive nicht mehr haben. Aber darum geht es Ihnen doch gar nicht. Es geht Ihnen darum, hier im Sozialbereich massiv zu kürzen und auf der anderen Seite – das Thema haben wir vorhin gehabt – die höheren Einkommen und die Vermögen zu schonen. Es geht Ihnen auch darum, den Menschen keine Perspektive zu geben; denn es könnte für das Klientel dieser Bundesregierung zu neuen Konkurrenzen kommen.
Es geht Ihnen nicht um Leistung, sondern darum, dass diese Gesellschaft in gewissen Klassen unterschieden wird. Die einen haben es, die anderen haben immerhin Arbeit, egal zu welchem Preis, und um die anderen kümmern wir uns am besten gar nicht. Herr Baldauf hat das vorhin exemplarisch vorgeführt.
Das sind die Auswüchse der Politik der Bundesregierung. Das bekommen wir hier in Rheinland-Pfalz bitter zu spüren am Beispiel der Schließung der Sozialkaufhäuser, wo es wirklich darum gegangen ist, Menschen, die sehr weit vom Arbeitsmarkt entfernt waren, zunächst einmal mit großer Unterstützung wieder an einen Arbeitsprozess und einen Tagesablauf zu gewöhnen. Solche Projekte kann man mit Sicherheit immer optimieren, das ist gar keine Frage, aber vom Grunde her muss man sie unterstützen. Die Kirchen ihrerseits müssen sich an der einen oder anderen Stelle hinterfragen. Das aber ist nicht unsere Aufgabe. Wir müssen den Beitrag leisten, den Politik leisten kann. Das bedeutet, endlich auch in Berlin ein Auge für diejenigen zu haben, die trotz guter Wirtschaftsdaten und relativ entspannter Zahlen am Arbeitsmarkt immer weiter von der Mitte der Gesellschaft abgehängt werden. Um die müssen wir uns kümmern. Da ist die Schließung der Sozialkaufhäuser ein trauriges Beispiel. Ich bitte Sie, kommen Sie von der Problemanalyse endlich dazu, die richtige Lösung zu unterstützen und nicht blind all das zu verteidigen, was Ihre Bundesregierung an unsozialer Politik zu verantworten hat.
Herzlichen Dank.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
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