Landtag Rheinland-Pfalz – 16. Wahlperiode – 28. Sitzung, 20. Juni 2012
Vizepräsidentin Frau Klamm:
Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat nun Kollege Köbler das Wort.
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste!
Ich glaube, das Thema ist viel zu groß, um hier kleinstaatlerische Neiddebatten, wie wir sie gerade hören mussten, vom Zaun zu brechen. Schauen wir uns doch die Situation in Europa einmal an. Wir haben eine dramatische Situation in Griechenland und eine schwierige Situation in Spanien. Auf der anderen Seite gab es in Frankreich eine Wahl, die eines deutlich gemacht hat: Die Politik, die die konservativ geführten Nationalstaaten, insbesondere die Republik Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, betrieben haben, wird Europa nicht in die Zukunft führen.
Ja, ich sage sogar: Wenn man genau hinguckt und den Horizont erweitert, stellt man fest, dass Angela Merkel mit ihrer Europapolitik in Europa vor einem Scherbenhaufen steht.
(Zurufe von der CDU: Oh!)
Das andauernde Ad-hoc-Krisenmanagement, die Flickschusterei und die Politik der Austerität sind in Europa offenkundig nicht mehrheitsfähig. Sie sind gescheitert.
(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen endlich wieder eine Politik mit einer Vision für Europa und mit einem klaren Kurs der europäischen Solidität, aber auch der europäischen Solidarität, und wir dürfen in Deutschland das Erbe von Adenauer, Brandt und Kohl nicht länger aufs Spiel setzen. Das ist in den letzten Monaten schon viel zu sehr geschehen. Deswegen wird es Zeit, dass auch in Deutschland eine europapolitische Trendwende einsetzt.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Ja, es ist richtig, die europäische Haushaltspolitik auf Solidität aufzubauen und zu harmonisieren, indem nationale Schuldenbremsen festgeschrieben werden. Aber man muss auch sehen, dass die gesamtstaatlichen Schuldenbremsen in einem Verfahren ausgehandelt worden sind, das ich als intransparent und undemokratisch charakterisieren möchte. Dieses Verfahren müssen wir in den Beratungen mit der Bundestagsopposition und mit den Ländern heilen. Warum verknüpft die Bundeskanzlerin eigentlich die Beschlussfassung über den Fiskalpakt, der erst zum Ende des Jahres beschlossen werden muss, mit dem ESM, der jetzt beschlossen werden muss? Sie macht das doch nur deswegen, weil sie für den Fiskalpakt, wie auch für andere Projekte in der Vergangenheit, überhaupt keine Koalitionsmehrheit mehr im Bundestag hat. Es wird nur Druck gemacht, einem solchen Vertragswerk zuzustimmen, weil die FDP sonst von der Stange geht und die schwarz-gelbe Regierung in Berlin längst handlungsunfähig ist. Ich glaube, das muss in diesem Hause einmal klar gesagt werden.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD –
Frau Klöckner, CDU: Immer die gleiche Rede!)
Es sind handwerkliche Fehler gemacht worden. Das Sparen allein hilft uns nicht aus der Krise. Das Sparen in eine Krise hinein verschärft sie. Das ist in Griechenland zu beobachten.
(Frau Klöckner, CDU: Das hören wir jedes Mal!)
Wer hier behauptet, die Griechen würden das nicht ernst genug nehmen, möge sich in Griechenland einmal mit Leuten unterhalten, die seit einem Jahr keine staatlich garantierte Rente mehr bekommen haben, oder mit Lehrerinnen und Lehrern, die Gehaltskürzungen hingenommen haben und nun mit einem geringeren Gehalt Familien ernähren müssen. Ich finde so etwas zynisch und ziemlich weltfremd. Auf diesem Niveau sollten wir die heutige Debatte nicht führen.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Stattdessen brauchen wir Zukunftsimpulse: ein europäisches Investitions- und Wachstumsprogramm und eine Beteiligung des Finanzmarkts, der mit für die Krise verantwortlich ist, an dessen Finanzierung über eine Finanztransaktionssteuer. Wir müssen uns auch über einen Altschuldenpakt und über einen europäischen Bankenrestrukturierungsfonds unterhalten. Das sind alles wichtige Einzelmaßnahmen für Europa, die endlich einmal zusammengebracht werden müssen, und zwar als Europapolitik und nicht länger als nationalstaatliche Egoismen. Unsere Vorstellung von Europa ist, dass man das endlich überwindet, weil das nur zur Blockade
führt. Da freut sich der Markt, aber am Ende verschärft es nur die Krise.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Wie kann man in diesem Parlament zum Fiskalpakt reden und über die demokratischen Fragen und die Beteiligung dieses Parlaments kein Wort verlieren? Es geht um eine Schuldenbremse, die so angelegt ist, dass sie auch die Länder und die Kommunen betrifft. Wir müssen uns hier damit auseinandersetzen. Deswegen ist es richtig, dass 16 Bundesländer – Frau Klöckner, auch schwarz-geführte Bundesländer – einstimmig gesagt haben, dass die Länderautonomie gewahrt bleiben muss. Der Bund muss am Ende die Risiken tragen, weil es nicht sein kann, dass die Bundesregierung in Hinterzimmern etwas aushandelt, was die Länder letztlich bezahlen. Hier bin ich ihren CDU-Kolleginnen und – Kollegen in den anderen Bundesländern sehr dankbar. Diese sind viel weiter als Sie.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Letztlich gilt diese Schuldenbremse auch erstmals für die Kommunen. Wir wissen alle, dass die Kommunen und gerade die Städte mit den hohen Sozialausgaben ihre strukturellen Defizite aus eigener Kraft nicht stemmen können.
(Glocke der Präsidentin)
Deswegen ist es richtig, dass wir sagen, wir können der innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts als Schuldenbremse, indem die Länder für die Kommunen haften, nur dann zustimmen, wenn der Bund hilft, das strukturelle Defizit in den Kommunen zu reduzieren. Da ist die Eingliederungshilfe ein sehr guter Einstieg.
Herzlichen Dank.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
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