Landtag Rheinland-Pfalz – 16. Wahlperiode – 16. Sitzung, 08. Dezember 2011

Landtag Rheinland-Pfalz – 16. Wahlperiode – 16. Sitzung, 08. Dezember 2011

 

 

Vizepräsidentin Frau Klamm:
Ich erteile Herrn Kollegen Köbler für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

 

Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir dürfen das Wort „Klamauk“ nicht mehr in den Mund nehmen. Aber Herr Baldauf, das war dann mindestens unredlich. Eine falsche Behauptung, dass dieses Land sich nämlich nicht an das Tariftreuegesetz hält, wird durch eine Wiederholung nicht richtiger. Ich bitte Sie, diese Behauptung in Zukunft nicht mehr aufzustellen.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Wenn ich mir Ihre Rede genau angehört habe, dann hat sie von der alten überkommenen Ideologie die Leitsätze gehabt, „Sozial ist, was Arbeit schafft“. Wenn wir uns gerade die Situation in der Paketzustellung anschauen, so ist es eben nicht sozial, wenn Menschen für drei bis vier Euro die Stunde 13 bis 14 Stunden am Tag ohne Pause – und das auch noch im Straßenverkehr – schuften müssen. Das ist eben nicht sozial. Deswegen ist nicht alles sozial, was Arbeit schafft. Nein, das ist schlicht und ergreifend Ausbeutung. Ich bin auch ein Stück weit entsetzt, dass Sie diese Art von Arbeitspolitik verteidigen.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Natürlich ist das hier auch eine Bühne, um auf diese Missstände aufmerksam zu machen, wenn es auch um bundesgesetzliche Regelungen geht. Wir haben nun einmal das Problem, weil wir eine Bundesregierung haben, die die arbeitsmarktpolitische Gesetzgebung nicht so justiert und nicht so ausgestaltet, wie es sein müsste. Da ist der gesetzliche Mindestlohn das beste Beispiel. Wir müssten hier vielleicht gar nicht darüber reden. Es ist aber eben unsere Pflicht, über Missstände zu sprechen, auch über das Phänomen der Scheinselbstständigkeit, das in dieser Branche ganz stark um sich greift, aber nicht nur in dieser Branche.

 

(Abg. Baldauf, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage)

 

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2010 7,84 Millionen atypische Beschäftigungsverhältnisse.

 

(Glocke der Präsidentin)

Vizepräsidentin Frau Klamm:

Herr Kollege Köbler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Baldauf?

 

Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Ja. Ich möchte den Satz aber erst beenden. Wir haben 7,84 Millionen atypische Beschäftigungsverhältnisse, das heißt, fast jeder Dritte abhängig Beschäftigte in Deutschland ist in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis tätig. Jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte arbeitet zu einem Niedriglohn. 1,35 Millionen Erwerbstätige müssen

ihr Arbeitseinkommen mit ALG II, mit Hartz IV aufstocken. Dann wehren Sie sich immer noch gegen einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro, was gerade einmal 1.350 Euro brutto im Monat bedeutet. Ich frage mich, was daran noch sozial ist. Geben Sie Ihre Blockade doch endlich auf, Kolleginnen und Kollegen von der CDU!

 

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

 

Vizepräsidentin Frau Klamm:

Herr Kollege Baldauf, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

 

Abg. Baldauf, CDU:

Herr Kollege, unabhängig davon, dass in dem Antrag drei Gesetze genannt sind, frage ich Sie: Geben Sie mir recht, dass diese Regelung zu Hartz IV von der rotgrünen Koalition in Berlin gemacht wurde?

 

(Beifall und Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU: Genauso ist es!)

 

Geben Sie mir auch recht, dass das Bundesurlaubsgesetz, das Entgeltfortzahlungsgesetz und das Arbeitszeitrecht unter Rot-Grün geändert wurden?

 

(Beifall der CDU – Hoch, SPD: Natürlich, bei der CDU passiert überhaupt nichts! –

Frau Klöckner, CDU: Jetzt sind wir beim Thema! –

Dr. Weiland, CDU: Historische Wahrheiten! –

Billen, CDU: Aber es ist noch schöner, ihn sprachlos zu sehen! –

Weitere Zurufe von der CDU –

Glocke der Präsidentin)

 

Vizepräsidentin Frau Klamm:

Das Wort Herr Kollege Köbler.

 

Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Ich wollte einmal hören, ob Sie noch etwas Sinnvolles dazu beizutragen haben.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

 

Soweit ich mich erinnern kann, wurde damals die Reform des SGB II mit den Mehrheiten der Fraktionen der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU verabschiedet. Mindestens zwei Parteien haben auf ihren Bundesparteitagen, nämlich die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erkannt, dass es soziale Auswüchse und Mängel in der Gesetzgebung gibt. Sie haben entsprechende Beschlüsse gefasst, dass sie dann, wenn sie 2013 wieder an die Regierung kommen, das entsprechend ändern. Diese Einsicht ist bei Ihnen offensichtlich nicht angekommen. Zumindest haben Sie sich heute entsprechend geäußert. Meine Damen und Herren, Menschen, die in Vollzeit arbeiten, müssen von dieser Arbeit auch leben können. Eine Studie des von Ihnen im Bund verantworteten Arbeitsministeriums zeigt, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns keine negativen Folgen auf den Arbeitsmarkt hat. Das heißt, glauben Sie doch endlich einmal Ihre eigenen Fakten. Legen Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ab.
Gehen Sie bei dem gesetzlichen Mindestlohn mit und schließen Sie keinen Wischiwaschi-Kompromiss wie auf Ihrem Bundesparteitag, von dem am Ende keiner leben kann. Sagen Sie, das ist die Untergrenze beim gesetzlichen Mindestlohn. Er ist keineswegs ein Eingriff in die Tariffreiheit, sondern eine Stärkung für die Tarifverhandlungen, weil er alle Branchen betrifft und dort greift, wo die Organisationsgrade bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht so hoch sind. Es ist vor allem eine soziale Verpflichtung des Gesetzgebers, den Tarifparteien eine Untergrenze vorzugeben. Alles, was darüber hinaus abgeschlossen wird, wird selbstverständlich gerne von der Politik zur Kenntnis genommen und in Rheinland-Pfalz im Tariftreuegesetz und bei der öffentlichen Vergabe entsprechend angewendet. Ich glaube, wir können stolz darauf sein, dass wir im Land Vorreiter sind, was diese Thematik angeht.

 

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

 

Ich komme zum letzten Satz. Natürlich kann man nicht alles mit Gesetzen regeln. Es kommt auch auf den Vollzug und die gelebte Praxis in den Betrieben an. Deswegen muss sich die Politik der Diskussion über gute Arbeit stellen

 

(Glocke der Präsidentin)

 

und sie immer wieder dort führen, wo sie nicht praktiziert wird. Deshalb ist es gut, dass wir heute darüber sprechen und feststellen, dass es bei den Paketzustellern keine Arbeitsbedingungen im Sinne von guter Arbeit gibt. Wir möchten die Landesregierung auffordern und dabei unterstützen, in diesem Sinne weiterhin aktiv zu bleiben.

 

Herzlichen Dank.

 

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

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