Landtag Rheinland-Pfalz – 16. Wahlperiode – 15. Sitzung, 07. Dezember 2011

 

Präsident Mertes:

Ich erteile Herrn Kollegen Köbler das Wort. – Bitte schön.

 

Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

 

Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es angesprochen haben. Viele Menschen in Deutschland haben in diesen Tagen und Wochen Scham empfunden. Sie konnten nicht verstehen, warum eine terroristische Nazibande über Jahre Gewalt und Mord über Deutschland bringen konnte. Sie konnten nicht verstehen, warum sich viele erst jetzt der Gefahren der Rechtsextremisten bewusst werden. Sie haben sich noch viel mehr für den Umgang von Teilen der Öffentlichkeit und der Ermittlungsbehörden mit den Opfern und

deren Angehörigen geschämt.

Die Toten wurden mit Bandenkriminalität, mit Schutzgelderpressungen oder anderen Straftaten in Verbindung gebracht. Ihr Ansehen wurde auch gegenüber ihren hinterbliebenen Freunden, Bekannten und Familienangehörigen posthum beschädigt. Die Morde wurden und werden teilweise heute noch abwertend als „Döner-Morde“ bezeichnet. Ich sage, dieser Begriff ist eine Bankrotterklärung unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gegenüber den rechten Demokratiefeinden,  meine Damen und Herren. Ich sage, dafür schäme ich mich ganz persönlich.

 

Da ist Trauer, Entsetzen und Wut über die menschenverachtende Gewalt, Fassungslosigkeit über eine grauenvolle Blutspur in unserem Land, über rechtsextremen Terror, der Menschen exekutiert wegen ihrer Herkunft, vielleicht wegen ihrer Hautfarbe oder wegen ihrer Religion, weil sie nicht ins Weltbild dieser ewig Gestrigen und auch der neuen Nazis passen. Deshalb trauern wir zutiefst um Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Der Tod dieser Menschen ist eine Tragödie und mit Worten nicht zu beschreiben. Die Opfer sind Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gewesen. Hier war ihre Heimat. Diese Heimat, wir hätten sie schützen müssen.
Dieser Naziterror ist ein politisches und gesellschaftliches Erdbeben. Er hat uns alle getroffen. Er hat uns dieses Wir bis ins Mark erschüttert. Abgründe tun sich auf und viele Fragen nach der Rolle der Ermittlungsbehörden,

vor allem des Verfassungsschutzes. Wen hat der eigentlich geschützt? Diese Fragen schreien nach unabhängiger Untersuchung, nach vollständiger Aufklärung, nach öffentlichen Antworten und nach ernsthaften Konsequenzen. Es kann keiner mehr sagen, wir wussten nicht, wie gefährlich Rechtsextremismus in unserem Land ist. Rechtsextreme Gewalt bedroht, verletzt und, ja, rechtsextreme Gewalt tötet Menschen, 182 Menschen seit 1990. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder auf die Aktivitäten der Rechtsextremen und der Nazis hingewiesen.  Auch in Rheinland-Pfalz sind Rechte aktiv und organisieren in regelmäßigen Abständen Aufmärsche oder andere Dinge. Deswegen gilt unsere Solidarität heute auch den Demokratinnen und Demokraten, die sich jetzt am Samstag wieder auf die Straße stellen, die Zeichen setzen, die sich den Nazis in den Weg stellen und ein klares Signal für Zivilcourage, Menschlichkeit und Demokratie in unserem Land setzen. Meine Damen und Herren, was wir jetzt brauchen, ist lückenlose Aufklärung dieser Verbrechen und all ihrer dubiosen Hintergründe. Wir brauchen eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz. Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Was wir nicht brauchen, ist eine bundesweite Superverfassungsbehörde,  sondern wir brauchen ein Ende des Eigenlebens der Verfassungsämter auf Bundesebene und offensichtlich in einigen Ländern. Wir brauchen Transparenz und endlich strukturelle und personelle Konsequenzen aus dem, was wir erfahren müssen. Ich bin deswegen sehr dafür, wenn der Bundestag zu der Erkenntnis käme, einen Untersuchungsausschuss dazu einzurichten.

 

Vor allem brauchen wir einen klaren antirassistischen politischen Kurs und eine klare Haltung gegen rechts und nicht eine immer wiederkehrende relativierende Gleichsetzung von rechts und links. Das ist aufgrund unserer deutschen Geschichte – das muss man gerade heute feststellen – etwas, was eher denjenigen den Nährboden gibt, die hier ihre Untaten betrieben haben.  Wir werden es deswegen in der Diskussion nicht zulassen, dass von dem Gesellschaftsversagen und vielleicht auch von dem politischen Versagen abgelenkt wird und sich die Debatte ausschließlich auf ein NPD-Verbotsverfahren reduziert. Ich sage ganz klar, wir wollen, dass die Voraussetzungen für ein NPD-Verbotsverfahren geschaffen werden und ein neues NPD-Verbotsverfahren auf gar keinen Fall scheitern darf. Das hilft nur den ganz Falschen. Wir müssen deswegen die V-Leute abschalten. Sie sind und bleiben Rechtsextreme. Sie sind und bleiben Nazis,  und sie sind eben keine demokratischen Informanten. Ich bin sehr froh, dass hier offensichtlich in Rheinland-Pfalz die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen worden sind.

Ein NPD-Verbot ist kein alleiniger Selbstzweck, sondern ist vor allem – das ist in diesen Tagen klargeworden -präventiver Opferschutz und ein erheblicher Schlag gegen rechtsextreme Strukturen, die das Parteienprivileg ausnutzen, um diejenigen mit zu unterstützen, die solche schrecklichen Taten verübt haben. Deswegen ist es nicht weiter zu ertragen, dass das Parteienprivileg die rechtsextremistischen Ideologien nicht nur schützt, sondern die Taten offensichtlich mit unterstützt hat. Wir sollten das NPD-Verbotsverfahren deswegen auf den Weg bringen. Wir sollten die Voraussetzungen auf jeden Fall so schaffen, dass es zum Erfolg führen kann.

Wir müssen uns klarmachen, dass eine Ideologie nicht per Gesetz verschwindet. Dazu braucht es eine starke und wehrhafte Zivilgesellschaft, eine politische Kultur des Hinsehens, der Toleranz, der demokratischen Beteiligung und eine Stärkung der Transparenz in der Politik. Eine lebbare und starke Demokratie, eine sich zu Vielfalt und Toleranz bekennende weltoffene Gesellschaft sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, den Rechtsextremen das Wasser abzugraben und den braunen Sumpf trockenzulegen. Deswegen machen wir hier in Rheinland-Pfalz eine Gesellschafts- und Integrationspolitik des Willkommens, des Miteinanders auf Augenhöhe, gegen Diskriminierung und für eine Kultur des zwischenmenschlichen Respekts und der gegenseitigen

Achtung unabhängig vom kulturellen Hintergrund, Herkunft oder Hautfarbe. Deswegen ist es richtig, ein eigenständiges Integrationsministerium geschaffen zu haben. Was wir nicht brauchen, ist eine Politik, die gerade die hervorragende Arbeit der zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen rechts systematisch entmutigt und sie unter Generalverdacht stellt. Die Extremismusklausel muss weg. Wenn nicht jetzt, wann dann? Stattdessen brauchen wir eine Stärkung der Projekte gegen rechts auf Bundesebene sowie bei uns in Rheinland-Pfalz.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam für einen notwendigen breiten gesellschaftlichen Konsens arbeiten, einen gesellschaftlichen Konsens, dass die Würde des Menschen, und zwar jedes einzelnen Menschen, unserer moralischer Imperativ ist. Die uneingeschränkte Menschenwürde ist der Imperativ für unser politisches Handeln. Ich glaube, hier für das gesamte Parlament sprechen zu dürfen. Wir lassen es nicht zu, dass Diskriminierung, Menschenhass und Rassismus in unserer Gesellschaft weiter um sich greifen. Wir werden rechte Gewalt und die Nazis in unserem Land mit Herz und vollster Überzeugung weiterhin konsequent bekämpfen.

 

Ich danke Ihnen.

 

(Anhaltend Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und vereinzelt bei der CDU)

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