Landtag Rheinland-Pfalz – 16. Wahlperiode – 8. Sitzung, 18. August 2011
Präsident Mertes:
Ich erteile Herrn Kollegen Köbler das Wort.
Abg. Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen ist hinlänglich dargestellt worden. Bei allen positiven Entwicklungen, die in Rheinland-Pfalz noch spürbar positiver als im Bundesvergleich sind, müssen wir feststellen, dass die Kernprobleme, die wir am Arbeitsmarkt haben, nicht gelöst sind. Frau Thelen, dann hilft es auch nicht, das Ganze schönzureden. Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Langzeitarbeitslosigkeit immer noch ein überproportional großes Problem ist, auch bei der insgesamt derzeit – ich betone das Wort „derzeit“ – positiven Entwicklung.
Es kommt auch für den einzelnen Arbeitslosen überhaupt nicht darauf an, wie hoch die Quote aktuell ist. Es kommt noch nicht einmal unbedingt darauf an, wie lange er arbeitslos ist, sondern es kommt auf die individuellen Hemmnisse an, die die Integration in den Arbeitsmarkt und damit letztlich auch soziale Teilhabe blockieren. Da bleibt die Bundesregierung sämtliche Antworten schuldig. Ich unterstelle sogar, diese Frage nach Teilhabe und Beseitigung von Integrationshemmnissen stellt sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht einmal.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Wir haben das bei der leidigen Diskussion um die HartzIV-Regelsätze erlebt, als die Fragen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, aber auch der Menschenwürde von der Bundesregierung und von Frau von der Leyen fiskalisch beantwortet worden sind. Wir werden es bei der Organisationsreform der Bundesarbeitsagentur sehen. Natürlich braucht die Bundesarbeitsagentur eine Reform. Aber die Einsparungen, die dort kommen, werden zu mehr Zentralismus und zu weniger Dezentralität und Individualität führen, wenn das alles so kommt, wie es angekündigt ist.
Ich sage Ihnen, das größte Vermittlungshemmnis in dieser Republik für Langzeitarbeitslose, für Menschen ohne Ausbildung und insbesondere auch für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist eine bestenfalls überforderte – böse Zungen sagen auch, nicht außerordentlich kompetente – Arbeitsministerin einer ziemlich unsozialen Bundesregierung, meine Damen und Herren.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)
Die Instrumentenreform hat sich Flexibilität und Innovation zum Leitgedanken gemacht. Ich sage Ihnen, das einzige Ziel ist eine phänomenale Kürzung der Mittel um 7,5 Milliarden Euro. Das ist eine gigantische Zahl. Die Flexibilität wird doch gerade genommen, wenn die entsprechenden Instrumentarien einfach mit dem Rasenmäher abgesägt werden und eben nicht die Integrations- und Wiedereinstiegsleistungen verbessert werden. Der Ermessensspielraum der einzelnen Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter, der im Prinzip kein falscher Gedanke ist, wird doch faktisch einseitig verlagert, wenn die jeweiligen Eingliederungshelferinnen und Eingliederungshelfer dann nicht das Instrumentarium und die Substanz dahinter haben, um jeden einzelnen Arbeitslosen auch entsprechend individuell fördern zu können, wie es geboten wäre.
Wir haben auch hier über die Rolle der sozialen Träger, was die Arbeitsgelegenheiten angeht, gesprochen. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und werden reihenweise ihre Angebote entweder massiv zurückfahren oder gar vom Markt verschwinden. Das sind eben die gemeindenahen Träger, die häufig in kommunaler Hand oder in sozialer Trägerschaft sind, die eben auch dafür garantieren, dass Beschäftigungsverhältnisse, Qualifikation und Anreize nicht auch zulasten des regulären Arbeitsmarktes gehen.
Wir wissen auch, die Absenkung der Arbeitslosenzahlen ist das eine. Aber welche Jobs nehmen die Leute denn an? Wir wissen, es sind vor allem prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Teilzeitbereich, befristet usw.
(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)
Schauen Sie sich die wirtschaftliche Entwicklung an. Wir schauen alle mit Bangen auf die Finanzkrise. Wir wollen hier nichts beschreien, aber ich glaube, der Arbeitsmarkt ist lange nicht so gefestigt, dass er auf eine erneute Krise entsprechende Antworten geben kann. Dann werden wir das ganze soziale Desaster mit den Folgen der mangelnden Teilhabe, der immer weiter steigenden Armut und der immer schwieriger werdenden Bildungschancen für Kinder aus diesen Familien in aller Brutalität spüren. Wir hoffen, dass es nicht so weit kommt. Aber wir konstatieren auch, dass diese Bundesregierung kein Garant dafür ist, dass der Sozialstaat ausgebaut wird und individuelle Teilhabe für jeden einzelnen Betroffenen möglich gemacht wird.
Diese Instrumentenreform ist eben eine einzige Einsparmaßnahme in ganz hohem Maße. Dort haben nicht die Sozialpolitiker die Federführung, sondern ganz klar die Haushaltspolitiker. Es wird auf Kosten der sozial Schwächsten eingespart. Gleichzeitig erdreistet sich diese Regierung, über Steuererleichterungen für Besserverdienende zu sprechen. Ich hoffe, dass der Spuk 2013 ein Ende hat.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
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